Der Abenteuer-Simulator
- Hans H. Bischoff

- vor 22 Minuten
- 2 Min. Lesezeit
Er war 76, Rentner, mit Gleitsichtbrille, typischem Seniorenauto und einem Blutdruck, der sich öfter verhielt wie ein schlecht gelaunter Wetterbericht. Doch eines Abends entdeckte er etwas, das sein Leben gründlicher veränderte als er es sich vorstellen konnte: Eine KI-App zur Bild- und Videogenerierung auf seinem Mac.
Er wollte eigentlich nur mal prüfen, ob diese neumodischen Maschinen wirklich so klug waren, wie man überall hören und sehen konnte. Also tippte er ein:„Alter Mann auf Berggipfel mit heroischer Pose.“ Dann lud er ein Porträtfoto von sich hoch. Zehn Sekunden später starrte er auf ein Bild, in dem er selbst auf einem alpinen Grat stand, Sonnenstrahlen im Bart, die Oberarme kräftiger als sie jemals in der Realität gewesen waren. Er sah aus wie ein 76-jähriger Kraftprotz, der ins Fitnessstudio geht.
„Na sowas“, murmelte er, „ich bin ja ein Prachtexemplar!“ Damit war die Sache entschieden. Von da an entwickelte er eine Fantasie-Fitness, die seinesgleichen suchte. Er produzierte täglich mehr Abenteuerfilme, als Hollywood in guten Jahren schaffte.
Eines seiner Highlights: Ein Video, in dem er in einem orangefarbenen Rallye-Fahrzeug über die Wüste fegt. Der KI-Fahrer, also er, lenkte das Auto mit einer Eleganz, die sein echter Körper schon beim Einparken verweigerte. Das Fahrzeug sprang über Dünen wie ein Gummiball – und er kommentierte begeistert: „So müsste sich Autofahren anfühlen, wenn man die Wirbelsäule nicht mehr spürt!“
In einer anderen Szene kletterte er in Patagonien. Er hing lässig an einer senkrechten Felswand, die echte Schwerkraft ignorierend. Der reale Rentner hingegen hing nur an seiner Kaffeetasse, aber das Gefühl war dasselbe: Er war ein Abenteurer.
Bald unternahm er Weltreisen. Nach Neuseeland, Island, Japan, sogar zum Mond („endlich mal Stille“, dachte er). Er posierte mit Pinguinen, ohne dass dabei seine Rheumasalbe in den Schnee fiel. Er stand auf Vulkanen, ohne dass seine Socken heiß wurden. Er gewann Autorennen, ohne sich den Hüftgelenken erklären zu müssen.
Und je mehr Bilder und Videos er erzeugte, desto jünger fühlte er sich.
„Ich werde rückwärts älter“, sagte er zufrieden zu seiner Zimmerpalme, die ihn inzwischen wohl für einen Influencer hielt.
Abends schaltete er die KI aus, lehnte sich zurück und dachte:„Wenn die Realität schon knackt und knirscht – wofür hat man dann Fantasie und Stromanschluss?“ Und so wurde der 76-jährige Rentner zum Abenteurer des digitalen Zeitalters. Zumindest in seinen Geschichten, seinen Bildern und seinen Träumen. Und vielleicht, dachte er manchmal, war das die eigentliche Wahrheit seines Alters: Nicht, was der Körper kann, sondern was die Fantasie noch zulässt, ist entscheidend.




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